Laura Rafetseder
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14.06.2018

Sind wir nicht alle ein bisschen Christl?

Rezension: Martin Amanshauser, Chicken Christl (2004)

Wir alle haben zehn Finger. Alle? Nein - Mika Koegl und sein US-Präsidentengroßvater Major Koegl haben zwölf.

Seine Freundin, die mit ihm Schluss gemacht hat, und deren Phantomschmerz Mika im Verlaufe der Geschichte betrauert, heisst passenderweise Xenia, die Fremde, die ihn ständig dazu bringen will sich die beiden überzähligen Finger wegoperieren zu lassen. Damit er nicht aneckt? Oder um ihn vor der seltsamen faschistoiden Sekte zu schützen, die ihn als Präsidentenklon kidnappt und verehren will? Und sie sagt: Er soll sich endlich seiner Vergangenheit stellen. 

Seine Vergangenheit, das sind der zwölffingrige Präsident und seine Frau Christl, deren Geschichte im Burgenland mit einer Hendlfarm beginnt. Christl, die Oma, heisst vulgo Chicken Christl, hat nach Apfelblüten duftende Handgelenke und einen Spalt im Kopf, der von einem herabfallenden Ziegelstein herrührt und sie ein bissl chicken, dh gaga, aber lieb, macht. 

Wer Christl den Ziegelstein auf den Kopf geworfen hat? Die Sekte weiß es. Die Sekte, das sind die Jünger vom Präsidentenadlatus Teddy Novgor, im folgenden Novgoristen genannt. 

Das Buch stammt aus dem Jahre 2004 - die Novgoristen können also nicht Trump und Breitbart meinen, erinnern aber daran. Sich der Vergangenheit stellen, das meint also nicht nur die zwölf Finger, also das anders sein, sondern auch die politische Vergangenheit der Großväter, und auch der Großmütter, die das gewesene nicht gern erinnern, oder nicht erinnern können, aufgrund bestimmter Ziegelsteine. 

Chicken Christl wird dadurch zur Parabel - nicht nur auf das Anderssein, sondern auch auf eine Generation deren Großeltern sich nicht mehr an die Verbrechen ihrer Generation erinnern können oder wollen, auch wenn keine Ziegelsteine auf sie fallen. Und die Schuld lässt sich auch nicht wegoperieren. Sie bleibt. 

Chicken Christl ist Martin Amanshausers poetischster und mutigster Roman, die Sprache elegant und reduziert, absurd, surreal und herzbrechend. Jeder Satz sitzt, der Text ist fast lyrisch, wie ein Songtext, von tiefer Traurigkeit durchzogen. Man spürt den Rhythmus der Musik der im Text wohnt. Die Sexszenen sind ungewöhnlich, verschoben, manchmal kalt und elegant, manchmal fast unschuldig und zärtlich. Amanshausers Sinn für das seltsame und absurde zeigt sich u.a. in den Briefen, die die Nachbarin, Sektenmitglied und zeitweise als Mikas Love Interest fungierende Susan Andretti für ihre Kolumne erhält. Auch die Metaebenen sind verschoben und verwoben. Am Ende verliebt man sich in Christl und ihre nach Apfelblüten duftenden Handgelenke. Wir alle haben zehn Finger - alle? Nach der Lektüre dieses Buches haben wir aus Solidarität zwölf. 

11.09.2017

The Lobster: Dystopie im Jetzt


Eine Gesellschaft in der man stigmatisiert ist, wenn man ledig bleibt und in der alle glücklich sein müssen. Selbstbefriedigung ist verboten, Sex vor der Ehe auch. Ein dystopisches Szenario? Klingt ein wenig nach 50er Jahre oder katholische Kirche am Land. Tatsächlich schrammt The Lobster beängstigend knapp an der Realität des Lebens im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts vorbei - auch wenn die gezeichnete Gesellschaft stark Züge eines faschistischen Regimes trägt. Die Partnersuche ist ein Muss und läuft nach seltsamen Kriterien ab: Man muss zumindest eine Gemeinsamkeit finden, dann erst darf man sich verpartnern - die Logarithmen von Parship lassen grüßen. Wer die 45-Tage-Frist nicht einhält, wird in ein Tier seiner Wahl verwandelt. Aber so surrealistisch und absurd wie dieser Twist daherkommt, ist das gar nicht - es ist nur überspitzt. Man könnte auch sagen: Wer bis zu einem gewissen Alter keinen Partner hat, darf mit einem Stigma belegt werden - im 19. Jahrhundert galten Frauen schon mit 30 als alte Jungfern. Um der Verwandlung zu entgehen, werden die Menschen immer verzweifelter und nehmen auch in Kauf, dass der gewählte Partner null Gefühle in einem weckt. Das ganze erinnert ein wenig an die Verzweiflung von Jugendlichen bei der Partnerwahl im Tanzkurs, damit man nicht als einziger allein übrig bleibt. Bei den Tanzveranstaltungen des Hotels (also des Regimes) werden die Vorzüge der Verpartnerung gepriesen. In Hetzjagden werden die "Loner" gejagt - jene Menschen, die vor dem Terrorregime der Verpartnerung in die Wälder geflohen sind. Die erlegten Loner werden wie Beute präsentiert und dann nicht bekannten Operationen unterzogen. Hauptfigur David wählt ausgerechnet jene Figur, die bei den Hetzjagden die meisten Loner gefangen hat - eine Frau ohne jede Gefühlsregung. Damit sie eine Gemeinsamkeit finden, gibt auch er vor, ohne Gefühle zu sein. Erst als sie seinen in einen Hund verwandelten Bruder tötet, beschließt er, in die Wälder zu fliehen und sich den Lonern anzuschließen. Liebe? Echte Gefühle? In dieser Gesellschaft fehl am Platz. Viel, viel zu gefährlich.

Aber auch in der Gegenwelt der Rebellen am Land sucht man vergeblich nach Liebe. Dort ist sie sogar explizit verboten. Erlaubt ist nur unverbindlicher Sex. Die Rebellen sind so beschäftigt damit, das Ideal der Verpartnerung abzulehnen, dass sie gleich die Liebe mit über Bord werfen. Erinnert stark an das "wer einmal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment" der 60er/70er Generation, die gegen die strikten Moralvorstellungen der 50er Jahre rebellierte (Oder ins Jetzt gebracht: Tinder vs Parship). In beiden Lebensmodellen, die The Lobster hier präsentiert ist eines verboten: die Liebe. David und die namenlose Rebellin, in die er sich verliebt, verstoßen gegen den Codex beider Modelle - sie haben keinen Platz in dieser Gesellschaft. Die Liebe wird dadurch zum ultimativ rebellischen Akt - denn sie stößt an deren Grenzen. Verbotene Liebe? Kennen wir das nicht woher? David und seine Geliebte träumen schließlich davon, aus den Wäldern in die Stadt zu fliehen, für eine Verpartnerung müssen sie allerdings eine Gemeinsamkeit finden. Die Geliebte ist kurzsichtig, also unterzieht sie sich einer Augenoperation, in der sie von der Rebellenführerin jedoch geblendet wird. Der Film endet mit David, der sich selbst blendet, um mit ihr gleichzuziehen.

The Lobster ist streckenweise höchst beklemmend, was nicht nur an der surrealistischen Story und an der dissonanten Musikuntermalung liegt, sondern auch daran, dass The Lobster filmisch gesehen so alltäglich und normal daherkommt. Das ganze könnte ein Albtraum sein. Es könnte aber auch unser Leben sein. Nein, wir leben nicht im Faschismus. Nein, wir können uns auch für die Liebe entscheiden. Aber in unseren Köpfen sind die beiden Gegenmodelle "Beziehung/Familiengründung (wenn nicht anders möglich auch ohne Liebe)" und "Singledasein (wobei man sich möglichst vielen unverbindlichen Sexualkontakten hingibt, weil Liebe führt ja zu Modell 1)"  fest verankert.  Egal welches Modell - sie sind ideologische Vorgaben der Klassengesellschaft. Die Liebe an sich, die echten Gefühle, denen man folgen darf - hat sie wirklich einen Platz in unserer Gesellschaft, im hier und jetzt? Oder ist sie nicht doch zu gefährlich, weil sie auch andere Gefühle wecken und zum Hinterfragen des Status Quo führen könnte? 

9.10.17: Winona Ryder - Best of


In den 90ern hat kaum jemand die Anti-Helding so gut verkörpert wie Winona Ryder. 

Die weiblichen Nerd-Teenies fühlten sich von ihr, die immer wieder Outsider-Rollen gespielt hat, verstanden.

Sie war schrullig, durchgeknallt und - etwas seltsam. Auf sympathische Art. So ein bisschen eine Annie Hall der 90er. Gleichzeitig datete sie mit Johnny Depp und diversen Rockmusikern die coolsten Typen der Ära. 

Als sie Anfang der 2000er beim Shopliften erwischt wurde, galt sie von knall auf Fall als Untouchable. Schon davor gab es Berichte über Nervenzusammenbrüche und Depressionen - Makel, die sie aber mit Girl, Interrupted auch künstlerisch umsetzen konnte. Trotz einer öffentlichen Entschuldigung blieben die Rollen in Folge jedoch aus. Anti-Heldin ist sie dennoch geblieben - sympathisch unperfekt und menschlich. Eben nicht wie ein Star, sondern jemand wie du und ich. 

In der Netflix Ära ist sie wie viele andere 80er/90er Stars und Starlets nun auf Comeback-Kurs (für Stranger Things wurde sie sogar für den Golden Globe nominiert). 

Anlass genug sich ihre Top-Filme aus den 80ern/90ern nochmal anzusehen.

Reality Bites

1994 war das Jahr in dem Noni die Queen of Cool war. Reality Bites war Zeitgeist, MTV, Generation X und so. Jeder wollte wie Noni in diesem Film sein und zu My Sharona tanzen. Und mit Ethan Hawke im Bett landen. 

Welcome Home, Roxy Carmichael

Das hier ist ein weniger bekannter Film - aber classic Noni. Sie stapft in überweitem schwarzen Sweater und Gummistiefeln auf ihrer Arche Noah herum und lässt sich von Mitschülern mit Essen bewerfen. Jeder der in der Schule mal gemobbt wurde, hatte plötzlich eine Heldin, die dennoch am Schluss rosa Prinzessinnenkleid tragen durfte. 

Girl, Interrupted

Als wäre der Film ein Vorbote auf die danach folgenden Real Life Events gibt dieser End of a Century Film Einblick in Nonis Psyche - sie spielte nicht Girl, Interrupted, sie war es. Und gegen die coole, nicht angreifbare Angelina blieb sie auch hier: echt und angreifbar. 

Mermaids

Auch das, eine ihrer Paraderollen als verquerer Teenie. Die Rolle als schrullige Tochter von Cher lässt sie in Gummistiefeln Rosenkranz beten und erste sexuelle Erfahrungen mit dem süßen Busfahrer machen. Die Botschaft an den Rest von uns: Es gibt Hoffnung.

Heathers

Heathers - unbestritten einer der kultigsten in Nonis Biographie - ist eine bitterböse schwarze Komöde übers Highschoolleben. Die drei Heathers sind hübsch und wohlhabend - Cheerleader-Typen eben. Und Noni nimmt es als Außenseiterin gemeinsam mit Christian Slater mit ihnen auf. Ein Film übers Cool und Uncool sein - und dass Uncool das neue Cool ist.





  • 1994: Reality Bites – Voll das Leben (Reality Bites)
  • 1990: Ein Mädchen namens Dinky (Welcome Home, Roxy Carmichael)
  • 1999: Durchgeknallt (Girl, Interrupted)
  • 1990: Meerjungfrauen küssen besser (Mermaids)
  • 1989: Heathers
  • 1989: Great Balls of Fire – Jerry Lee Lewis – Ein Leben für den Rock’n’Roll (Great Balls of Fire!)
  • 1994: Betty und ihre Schwestern (Little Women)
  • 1990: Edward mit den Scherenhänden (Edward Scissorhands)
  • 1988: Beetlejuice
  • 1995: Ein amerikanischer Quilt (How to Make an American Quilt)


Revie aus 2007:
Review Maximo Park: Our Earthly Pleasures

http://www.kulturwoche.at/index.php?option=com_content&task=view&id=1137

Maximo Park Frontman Paul Smith ist ein seltsamer Kerl: Er sieht aus wie einer, der in der Schule geschnitten wurde, kultiviert seinen nordenglischen Geordie-Akzent und liest auf der Bühne aus Büchern vor. Gerade das und Smiths Vorliebe für raffinierte Texte heben Maximo Park allerdings von ihren Contemporaries ab. "We will meet in Russian Literature" singt Smith im gleichnamigen Song, dem der Titel des Zweitlingswerks, Our Earthly Pleasures, entnommen ist. Das ist auch der rote Faden, der sich durch das Album zieht - jeder einzelne Song hat seine eigene Dramatik. Besungen wird der Pariser Himmel ("Parisian Sky"), Denkmäler ("By the Monument"), und in dem großartigen "Books from Boxes" steht das Auspacken von Büchern symbolisch für das Ende einer Liebe. Genau das scheint Smith auch hier auf sehr kunstvolle Art und Weise verarbeitet zu haben. Immer wieder tauchen Metaphern auf, die aber nie platt oder künstlich klingen, wie z.B. "The North Sea crashes through your dreams" im Lied "Karaoke Plays", oder "We rarely see warning signs in the air we breathe" in "Books from Boxes". Nach eigener Aussage der Band stoßen sie sogar in politische Gefilde vor: Laut Paul Smith ist "Our Velocity" ein kritischer Song über den Gemütszustand einer Kriegsführenden Nation. Die Anfangszeile "I'm not a man, I'm a machine" und das Gefühl der Beklemmung, das "Our Velocity" hinterlässt, macht in diesem Zusammenhang höchst Sinn.Musikalisch und inhaltlich hat Maximo Park mit "Our Earthly Pleasures" das für mich beste Indie-Rock Album des Jahres vorgelegt. Wie nicht anders zu erwarten sind die Gitarren knackig, die Arrangements dicht und der Gesang präzise. Gegenüber dem Debüt A Certain Trigger wirkt der Sound insgesamt runder, was nicht zuletzt auch auf das Konto von Pixies Produzent Gil Norton geht. Die wahren Stars des Albums sind aber die komplexen und intelligent gestrickten Songs. "The Park" überrascht mit immer neuen musikalischen Einfällen und gerade die melodielastigeren Stücke glänzen besonders. Egal ob sie rocken ("Girls Who Play Guitar") oder Smiths Herzbluten melodisch untermalen ("Nosebleed", "Karaoke Plays"): die Melodien sind Ohrwürmer mit Suchtfaktor, die man nicht mehr los bekommt. Den einzigen Schwachpunkt des Albums, die etwas zu ambitionierte Tempo-Nummer, "The Unshockable", verzeiht man ihnen daher gerne. Art-School Rock vom Feinsten. (Laura Rafetseder)